Trainingslager 2020: Gran Canaria – Ein Erlebnisbericht ! +++

Trainingslagerbericht von Teamfahrer JONAS ARLT
Trainingslagerbericht von Teamfahrer JONAS ARLT

Gran Canaria – Ins Meer abfallende Steilküsten säumen die nahezu kreisrunde Insel entlang der etwa 236 km langen Küstenlinie. Im Inselinneren treffen zerklüftete Trockentäler mit Wüstenvegetation - die 'Barrancos' - auf Gebirgshochebenen mit Kiefernwäldern. Übertrohnt wird das Szenario majestätisch vom erloschenen Vulkan Pico de las Nieves, der bis auf 1949m reicht und eine atemberaubende Übersicht über diese so vielfältige Insel bietet. Insgesamt 14 Mikroklimazonen lassen sich hier unterscheiden und alle kann man mit dem Rennrad er'fahren'

Die einzigartigen Anstiege durch die reizvolle Landschaft bei angenehmen Temperaturen locken jedes Jahr eine Vielzahl an Radsportbegeisterten aus dem europäischen Winterschlaf, um wieder Sonne zu spüren und in 'kurz-kurz' der eigenen Form den Feinschliff zu geben.

So entschied auch ich mich der Eiseskälte zu entfliehen und bei sonnigen Temperaturen 'Kilometer zu machen' – mit dabei Vereinskolleg*innen vom RSC Göttingen. Frei nach 'Do-it-Yourself' war alles eigens geplant: Flüge, Radtransport, Appartement, Routen und natürlich ein wohldurchdachter Trainingsplan. Neun Tage hatte ich Zeit mich auszutoben und meine Grenzen auszuloten. Die Highlights – natürlich eine ganz subjektive Auswahl – möchte ich euch nicht vorenthalten.

Pico de las Nieves – 90,52km, 2 524hm

Maspalomas – Ayacata – Cruz Grande – Roque Nublo – Pico de las Nieves & zurück

Auf direktem Weg zum höchsten Punkt der Insel

Eine Tour der Gegensätze, die in Erinnerung bleiben wird. Vom Meeresniveau zum höchsten Punkt der Insel – dafür braucht man(n), genauer gesagt ich, gute 3h. Ein Anstieg von etwa 45km Länge mit nur wenigen Kletterunterbrechungen. Der Weg führt verschlungen durch Bergdörfer und ist zunächst gesäumt von Kaktusfeigen, dann Mandelbäumen und schließlich Nadelbäumen. Am Ende ist man auf fast 2000m Höhe angelangt und kann eine atemberaubende Aussicht über die gesamte Insel genießen – sofern es die Wolken zulassen. Kaum zu erwähnen: Zurück braucht man nur ein Drittel der Zeit.

Über den Tauropass – 71km, 1 617hm

Maspalomas – Playa de Mogán – Mogán – Soria – Maspalomas

Der schönste Pass der Insel

Mit der aufgehenden Sonne im Rücken ging es entlang der Küste nach Puerto Rico. Hier mussten wir das Gefährt wechseln, da ein Straßenabrutsch die direkte Weiterfahrt verhindert. Zu Wasser auf der Fähre konnten wir uns die Gischt um die Nase wehen lassen – ein unerwartetes Kontrastprogramm.

In Playa de Mogán angelandet, begann die Überquerung des 'Montaña de Tauro'. Von Mogán aus führt die Passstraße durch eine Vielzahl langgezogener Serpentinen – zu Fuße des Berges noch gesäumt von Kiefern. Mit jeder Serpentine, die man höher klettert, erhält man einen immer gewaltigeren Blick ins zurückliegende Tal. Für mich der schönste Pass, den ich bislang je gefahren bin. Die anschließende steile Abfahrt nach Barranquillo Andres ist mit Vorsicht zu genießen. Tiefe Schlaglöcher und lose Steine erfordern viel Gefühl mit der Bremse – ein willkommenes Techniktraining!

Ein Muss bei dieser Tour: Ein Abstecher nach Soria um im 'Restaurante Casa Fernando' einen frisch gepressten Papayasaft zu trinken.

Königsetappe – 145,36km, 4 448hm

Maspalomas – Soria – Tauropass – Tal der Tränen – Ayacata – Cruz Grande – Maspalomas

Eine epische Tour vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung

Die Grenzen austesten - 'All Out' – so das Motto dieser Tour. Die Strecke ist so hart wie sich der Untertitel liest. Sie kommt mit drei größeren Erhebungen daher – jede für sich genommen einer eigenen Tour würdig. Als erstes gilt es erneut den Tauropass zu bezwingen und nach einer Gegensteigung wieder auf Meeresniveau in La Aldea de San Nicolás anzugelangen. Hier beginnt die wahre Härteprüfung der Tour – der lange und fordernde Aufstieg durch das Tal der Tränen. Aber lest selbst wie es mir dabei im Einzelnen ergangen ist ...

Soria & Tauropass

Zum Auftakt lud der Tauropass – diesmal aber aus umgekehrter Richtung. Oben, auf der Höhe von Soria angekommen mit der Morgensonne im Gesicht, verlockt der Blick zurück ins Tal zum Träumen – hier könnte man Stunden verbringen! Allein, es fehlte die Zeit, viel Wegstrecke liegt noch bevor. In ein paar knackigen Serpentinen ging es die letzten Höhenmeter von Barranquillo Andres hinauf zur Passstraße und da lagen sie wieder vor mir: Die malerischen Serpentinen des Tauropasses. Dieses Mal durfte ich sie als Abfahrt genießen. Die Fahrt wurde jäh gebremst, durch die nach Westen führende Gegensteigung über die Degollada de la Aldea, ehe es weiter rasant hinab zurück auf Meeresniveau nach San Nicolás ging.

70 Kilometer und etwa 2000hm waren nun geschafft – doch dieser Streckenteil sollte sich als der Leichteste der Tour herausstellen ...

 

La Aldea de San Nicolas & das Tal der Tränen

In La Aldea de San Nicolas beginnt der ‚Einstieg‘ in das Tal der Tränen – die nackten Zahlen: 22 km und eine Höhendifferenz von 1500 m. Aber dadurch wird der Charakter dieser Landschaft wahrlich nicht abgebildet. Die Straße verläuft hier spektakulär und verschlungen durch tief eingeschnittene Canyons. Immer wieder eingestreute Zwischenabfahrten verringern den bereits erzielten Höhengewinn. Dreimal passiert man eine Serie aus eng geführten Serpentinen, die auf die nächst höhere Ebene des Canyons und zum nächsten Stausee führen, die hier wie an einer Perlenschnur aufgereiht die Strecke zieren und diesem Tal seinen Namen geben. Erklimmt man die ersten zwei Serpentinenpakete noch frohen Mutes – die Steigung lässt es hier zu – und erfreut sich an der schillernd spiegelnden Sonne in den Stauseen, so erblasst man beim Anblick der nächsten Kehren und die Stauseen werden wahrlich zu den Tränen im eigenen Auge.

 

Im ersten Moment dachte ich die Straße führt geradeaus durch einen Tunnel. Doch mein Garmin belehrte mich eines Besseren – nach rechts sollte es gehen. „Oha“ entglitt es mir leise, als mein Blick den scharfen Windungen im Felsen immer höher und höher hinauf folgte. Bis zu 20% hatte ich irgendwo gelesen, aber zwischen Lesen, Sehen und Fühlen besteht doch ein Unterschied, wie ich nun lernen sollte.

Will man hier im Hang nicht stehen bleiben, muss die Kadenz zumindest bei 40 rpm stehen bleiben, das entsprach hier leider Leistungswerten weit jenseits meiner Schwelle, wie mir mein Garmin freundlich mitteilte und das minutenlang. Wer schon mal mehrere Minuten oberhalb der Laktatschwelle gefahren ist, weiß was das bedeutet – keuchende, schwere Atmung, brennende Muskeln und Anflüge von Übelkeit, gepaart mit Schwindel – warum bin ich nochmal hier? Ahja, für den Moment, wenn alles nachlässt, der Blick ins Tal fällt und der Körper mit Dopamin überschüttet wird.

 

Nach diesem Kraftakt könnte man meinen das Schlimmste sei überstanden – so dachte ich auch, aber mitnichten! Nach kurzer Abfahrt nach El Carrizal, wartet am Ortsausgang – die Straße führt hier scharf nach rechts – der nächste Hammer. In zwei verwundenen, scharf geschwungenen Serpentinen geht es mit zweistelligen Steigungsprozenten ins nächste Kletterstück. Auf der anschließenden Geraden fällt die Steigung nicht unter 15%.

 

Doch irgendwann nimmt jede Steigung ihr Ende und der Anblick, der sich nun bot – hier, auf dem Roque Palmés, in El Toscón – war alle Mühe wert. Ich blickte zurück auf das Tal der Tränen, dahinterliegend die Küstenlinie von San Nicolás und in weiter Ferne stach der gewaltige Teide aus einem Wolkenmeer auf der Nachbarinsel Teneriffa hervor.

 

Ein magischer Moment. Ich fühlte mich wie auf dem Dach der Welt und atmete tief die frische Luft, dieses inzwischen späten nachmittags ein.

 

Es fiel mir unglaublich schwer, mich wieder von der Szenerie loszureißen. Ein letzter Blick auf den Teide und dann begann schließlich mit ein paar kräftigen Pedaltritten die Rückfahrt nach Maspalomas.

Das breite Grinsen, dass ich seit dem Blick über das bezwungene Tal der Tränen auf dem Gesicht hatte – oder zumindest im Herzen trug – verließ mich den ganzen Abend über nicht mehr und es kommt von Zeit zu Zeit wieder, z.B. jetzt gerade, wo ich diese Zeilen schreibe …

#stayathome – Ausgangssperre und Covid-19

Unser Trainingslager ereilte ein abruptes Ende – Covid-19 hatte uns erreicht. In der Nacht vom 14ten auf den 15ten März verhängte Spanien eine überall geltende Ausgangssperre. Anders als in Deutschland, wurde auch der Sport im Freien, selbst für Einzelpersonen untersagt.

So mussten wir die letzten Tage in der Ferienwohnung ausharren und um die Rückreise in dieser so ungewohnten, sich täglich dynamisch entwickelnden Situation bangen.

Doch etwas, vielleicht leicht zu übersehendes und in ‚normalen‘ Zeit von anderen, nun so viel minderen Problemen, verdecktes zeigte sich: Zusammengehörigkeit und Solidarität. Unser Ferienwohnungs-Host, tat sein Möglichstes spanische Nachrichten für uns zu übersetzen und vermittelte für uns wo er konnte. Man fühlte sich auf einmal näher, gemeinsam von der Krise bedroht. Ein zarter Hoffnungsschimmer in dieser schweren Zeit, eine Triebkraft sie gemeinsam zu meistern!

 

Am Ende konnte wir Gran Canaria mit unserem geplanten Rückflug verlassen und in unseren Alltag – der nun ein so ganz anderes Gesicht trägt – zurückkehren.

 

Ich werde die Eindrücke dieses Trainingslagers noch lange im Herzen tragen und immer wieder gern schmunzelnd ans Tal der Tränen, den Pico und das endlose Blau von Himmel und Meer zurückdenken. Eine Kraftquelle in diesem aufgewühlten Alltag, wo wir auf vieles verzichten müssen, um Menschenleben auf der ganzen Welt zu retten.

TRAININGSLAGER BERICHT VON JONAS ARLT

Jahrgang: 1988

Lebt in: Göttingen

Größe / Gewicht:: 185 cm / 83 kg

Hobbies: Triathlon, Tennis

Hauptberuf: Physikstudent

Primärer Sport: Radsport

radrooTEAM Fahrer seit: 2017